Das Paradies

28.12.2012

Das ParadiesUnter dem Paradies wird man sich heute wohl einen wunderbaren Ort vorstellen, an dem einem an nichts fehlt – so genau ist das aber heute nicht definiert, was man sich unter einem Paradies vorstellen soll.
In der Bibel ist es ein Ort, an dem die Menschheit entstanden ist. Der Ort war also in Afrika, denn dort ist die Wiege der Menschheit, dort ist es warm und dort lieferte die Natur alles was der Mensch braucht: Wasser, Nahrung, Wärme.

Der erste Mensch muss ein Tier gewesen sein, denn er lebte unbedeckt ohne Haus einfach in und von der Natur. Adam müssen mehrere Menschen gewesen sein, denn einer allein kann nicht leben. In unserem bekannten Kreis des Universums ist kein Leben bekannt, das einzeln, singulär vorhanden ist. In der Bibel wird der erste Mensch mit Adam benannt, Adam waren also wohl einige. Vermutlich rochen sie wie Tiere und sie verhielten sich auch so, die Ehrlichkeit war Trumpf und daher herrschte zu dieser Zeit Thymos. Die Welt war einfach, die Gesetze waren einfach und sie wurden einfach und schnell geregelt und unmittelbar vollstreckt.

Offensichtlich konnte man in Afrika gut leben, denn sonst wären wir nicht dort gewesen. Im Rest der Welt war es dagegen auf Dauer schon immer mehr oder weniger unwirtlich, im Winter war es im Norden dunkel und kalt, im Sommer regnete es vielleicht längere Zeit nicht. Auf jeden Fall war es in Afrika am zuträglichsten. Es gab Zecken, Spinnen, Steckmücken, Fliegen, Giftpilze, Schlangen und alle anderen Tiere und Pflanzen, die in einem Paradies eben so vorkommen. Und man konnte von der Jagd vortrefflich dort leben.

Adam oder vielmehr die Adamischen rasierten sich nicht, brauchten keine Kleider, denn es war warm und sie trugen keine Krawatten, denn sie gingen nicht ins Büro und auch sonst hatten sie keine Probleme, denn die Natur deckte alle Tage den Tisch wenn man zur Jagd ging und sich zu helfen wusste. Und so gingen die Adamischen zur Jagd und vermehrten sich aus sich selbst heraus, das heißt sie paarten sich nur mit ihresgleichen und nicht mit anderen Tieren. Dazu waren natürlich Frauen vorhanden, diese gebaren die Kinder, keiner wusste so genau warum und man machte sich wohl auch wenig Gedanken darüber. Weil sie aber alle ein Fell hatten, sich sehr ähnlich sahen, so konnte man sie schwerlich auseinander halten. Darum hießen die Frauen also zu dieser Zeit auch Adam.

Weil die Adamischen von gesunder Konstitution waren und einen hohen Populationsdruck erzeugten, sie hatten wenig Probleme mit dem Kindermachen, die Fortpflanzungsverweigerung war noch nicht bekannt, so waren es bald viele und es ging nicht mehr anders, als dass einige von ihnen entweder umkamen oder emigrierten. Der moderne Mensch in Europa ist also ein Einwanderer, ein Immigrant. Sie brachten auch ihre Kinder mit, die Neozoen. Diese Einwanderer, die Adamischen, hatten einen schweren Stand außerhalb des Paradies, denn es war im Winter kalt und man brauchte eine Behausung, die Jagd war unter diesen Bedingungen erschwert, das Leben war in den feuchten Höhlen des Nordens weniger angenehm, als wenn die Tage alle gleich lang, das Klima immer gleich, die Temperaturen immer angenehm sind. Es war der Auszug aus dem Paradies ins Rheumaland, in dem man den Sommer über schwer schuften musste, damit man den Winter überlebte.

Das war die Zeit, in der sich die Adamischen neu organisierten, die einen jagten und die anderen sorgten um die Behausung und so ergab sich die erste arbeitsteilige Gesellschaft. Die einen, mit Zipfel, die zur Jagd gingen, wurden weiterhin, wie ehedem Adam genannt. Die anderen, die ohne Zipfel, sahen zu, dass die Bude warm war, sie waren Eva. Eva wurde also von Adam abgespalten, getrennt, und hatte ihren eigenen Aufgabenbereich, ihr eigenes Profitcenter. Weil es auch nicht nur eine Eva gab, so waren es die Evaischen. Die Adamischen entwickelten ihre Arbeit, die Evaischen die andere und so gab es zunächst wenig Unterschiede zwischen ihnen. Weil sie sich aber immer mehr spezialisierten, so wurden auch die Unterschiede größer und die einen blieben thymotisch, während die anderen erotischer wurden. Beide ergänzten sich aufs Vortrefflichste und sie waren gemeinsam so erfolgreich, dass sie die gesamte Erde bevölkerten.

Nun gab es zu einer recht fortgeschrittenen Zeit, so etwa drei bis viertausend Jahre vor heute, immer noch die Adamischen und die Evaischen, darunter gab es Reiche und Arme. So gab es Könige, denen ging es besser und es gab den Rest, denen ging es auch nicht schlecht, denn sie lebten. Die Arbeitsteilung war schon recht fortgeschritten und so hatten auch die Könige, wie der Rest ebenfalls, die Evaischen. So war also auch im Hause des Königs klar, wer das Sagen hatte und wie die Behausung und der Garten zu gestalten war. Die Evaischen planten wie es zu Hause auszusehen hatte und die Adamischen hatten dafür zu sorgen, dass es so wurde wie es sich die Künstlerin des Hauses in den buntesten Farben ausgedacht hatte, denn sonst hing der Haussegen schief. Bei den Königen war natürlich alles üppiger und man konnte sich dort mit den Bediensteten i.e. Sklaven, Leibeigene, Geringe, perfekt um die Gärten kümmern.

Afrika, die Heimat der Adamischen, wurde in den königlichen Gärten nachgebaut, es wuchsen dort bald alle möglichen Pflanzen, es wurden Tiere gehalten und die Jagd in den Gärten war die  reine Freude, denn im Vergleich zum Rest, im Vergleich zum restlichen Land, gab es dort alles im Überfluss. Nun waren diese königlichen Gärten aber keine Schrebergärten oder übergroße Blumentöpfe, sondern weitläufige Anlagen, mit Wäldern, Seen und Auen und allem was man darin pflanzen und halten konnte. Wenn ein einfacher Adamischer, der sich alle Tage bei harter Arbeit und beschwerlicher Jagd plagte, einen solchen Garten jemals zu Gesicht bekam, dann musste er ihm vorgekommen sein wie ein Wunder. Man nannte diese Jagdgärten der Könige damals Paradies.

Das Paradies war also nichts anderes als ein Abbild, eine Imitation des afrikanischen Urwaldes, der ursprünglichen Natur. Das Paradies war eine Kultur mit allem darin was man sich nur vorstellen konnte und was das Vorstellungsvermögen der einfachen Menschen bisweilen überstieg: Tiere aller Art, Pflanzen, Obst, Zecken, Läuse, Fliegen, Mäuse und so weiter. Dass diese wunderbaren Gärten bei den einfachen Adamischen daher ein unglaubliches Staunen und höchste Ehrfurcht hervorriefen, ist sicherlich leicht nachvollziehbar. So rankten sich bestimmt die wundersamsten Erzählungen über diese Jagdgärten und sie waren so mystisch und so phantastisch, dass sie wie selbstverständlich in die Überlieferungen und also letztlich auch in die Bibel Einzug hielten.

Mit dem technischen Fortschritt, mit der Entwicklung der Jagd und der Landwirtschaft, war es allerdings so, dass es diese Gärten bald überall gab. Es gab genügend Wild, man litt mit der Landwirtschaft nach der Neolithischen Revolution keinen Hunger mehr, man baute Obst, Gemüse und allerlei Nahrung an. Die Erde war bald überall ein Jagdgarten und das Paradies war weit verbreitet. Wo aber die Unterschiede eingeebnet werden, da sind die Differenzen nicht mehr erwähnenswert.

Unsere heutige Kulturlandschaft ist keine wilde Natur mehr, es gibt kaum noch ursprüngliche Wälder, sogar die Seen werden heute aus der Erde gegraben und Flüsse umgeleitet, Berge aufgeschüttet und überall werden Spazierwege gebaut. So braucht man sich nicht mehr mit dem Haumesser durchs Gestrüpp zu kämpfen, sondern man setzt sich in die Fahrmaschine und fährt in der Kulturlandschaft, im Garten des Menschen, im Paradies umher.

Ohne Frage, wir leben heute nicht nur in Afrika, am Äquator, sondern selbst in den nördlichen und den südlichen Breiten unserer Erde in Gärten, die weit angenehmer sind, als diejenigen, die vor dreitausend Jahren beschrieben wurden, vereinzelt vorkamen und als Muster für den Rest der Kulturlandschaft Modell standen.

Wir leben heute alle im Paradies, jetzt, jeden Tag, wir müssen nur raus in den Garten, raus in die wundervolle Landschaft, in der es Wild, Wasser und Weiden gibt. Sogar Zecken, Mücken, Mäuse und alles andere, was es damals ebenfalls im Paradies gegeben hat, gibt es heute auch bei uns. Wenn es heute regnet, so haben wir obendrein Gummistiefel und Regenkleidung, damit die Füße im Paradies auch trocken und warm bleiben. Es kann daher keine Frage sein wo das Paradies ist und wie es aussieht – es ist außerhalb unserer Städte, es ist im Wald und in den Fluren.

Wenn eine Kultur sich in ihrer Landschaft, in der Kulturlandschaft, widerspiegelt, dann wandelt sich die Kultur heute nicht, sondern sie verwandelt sich, sie nimmt heute ab, denn wir verbrauchen unsere lebende Kulturlandschaft und verwandeln sie in eine höchst vergängliche, tote Kunstlandschaft. Obwohl in der Bundesrepublik Deutschland die Bevölkerungszahlen stagnieren, rückläufig sind, verwandeln und verbrauchen wir an jedem Tag des Jahres eine Fläche von etwa 100 Fußballfeldern. Wir teeren und betonieren unseren Jagdgarten, wir zerstören unser Paradies, indem wir jährlich die Fläche von etwa 36 500 Fußballfeldern an Lebensraum abtöten und auf der verbleibenden Fläche, die Früchte und Nahrungsmittel der Felder gegen Brennstoffproduktion und industrielle Landwirtschaft eintauschen. Wir vertreiben damit die Tierwelt aus unserem Paradies, aus unserem Jagdgarten. Aber diese können nicht zurück in die Wildnis, denn die gibt es schon lange nicht mehr. Sie können also nur sterben oder, wenn sie hart genug sind, in unseren Städten überleben. Man darf also getrost davon ausgehen, dass unsere Städte nicht ein besonders begehrter Lebensraum für Füchse, Schweine und andere Tiere sind, sondern die Notlösung vor der Endlösung. Diesen Wahnsinn, diese Dummheit, zu unterbrechen ist nur durch einen Paradigmenwechsel möglich. Dieser Paradigmenwechsel hat zur Voraussetzung, dass die Menschen wissen wo ihr Paradies ist, dass sie es sehen, dass sie sich daran erfreuen, dass sie es lieben.

Wenn wir das nicht erkennen, wenn wir meinen, die Paradiese die jetzt noch sind, könnten noch besser werden, wenn wir meinen, wir bräuchten dazu mehr Geld, mehr Fabrikhallen, mehr Autobahnen auf der grünen Wiese, dann ist es mit unseren schönen Gärten bald vorbei, dann ist es mit unserem Paradies zu Ende und es ist kein anderes, kein neues in Sicht. Wir brauchen nicht mehr Kunst, sondern weniger davon, wir müssen nicht noch komplizierter werden, sondern einfacher. Vor allem aber müssen wir zunächst überhaupt einmal begreifen, dass das Paradies ein diesseitiger Ort, ein Ort des Lebens ist und nicht irgendwann und irgendwo und vielleicht in ferner Zukunft auf uns wartet.

Paradies ist jetzt, hier und heute!

BM 12/2012

(c) Waldgras | Technik: Alphadat EDV-Service GmbH | Verwaltung | Impressum