Das Märchen vom Wolf und anderen Dingen

06.09.2015 - , BM

Das Märchen vom Wolf und anderen DingenEs war einmal ein Garten. Dieser Garten wurde von einem alten Mann bewirtschaftet, der diesen von seinem Vater übernommen hatte, der hatte ihn ebenfalls von seinem Vater übernommen und so weiter.

An manchen Stellen riss er das lebende Gras aus, damit das Gemüse in seinem Garten wachsen konnte, er hatte nichts gegen das Gras. So entstand über Generationen ein vielfältiger Garten der ihn und seine Familie vorzüglich ernährte. An manchen Stellen rodete er den Wald, er riss lebende Büsche und Bäume aus damit Gras wachsen konnte, er hatte nichts gegen die Büsche und Bäume. So entstanden saftige Wiesen für die Weidetiere. Aus einer wilden Naturlandschaft war eine vielfältige Kulturlandschaft mit Wild, Wasser, Wald und Wiesen geworden. Und so mangelte es ihnen an nichts, sie hatten alle Tage Gemüse, Gesottenes und Gebratenes. Und selbstverständlich schoss er auf den Wolf und fing den Fuchs mit der Falle. Er hatte nichts gegen den Wolf und den Fuchs aber er wollte auf seinen Sonntagsbraten nicht verzichten und sein Weidevieh nicht an den Wolf verlieren. Er hatte keine Ideologie, führte keinen Krieg gegen niemand, er wollte dass das Paradies so bliebe, er wollte es für seine Enkel und Urenkel erhalten.

Die Enkel waren indessen satt und unzufrieden, sie wollten sich im Paradies des Alten nicht mühen, sie aßen im Schnellimbiss und kauften im Supermarkt wonach ihnen der Sinn gerade stand. Sie wandelten nur noch durch die Gärten und kritisierten den Alten wenn er weiterhin das lebende Gras aus den Gemüsebeeten jätete, weiter seine Fallen für den Fuchs aufstellte und den Wolf weiterhin von seinen Weidetieren fern hielt. Sie legten sich einen englischen Rasen an und schimpften auf die Schafe des Alten wenn diese ihn betraten und düngten. Sie rissen lebende Blumen aus und beobachteten sie zu Hause in einer Vase beim Sterben. Sie erschlugen die Fliegen nicht mehr, sondern sie vergifteten diese genauso wie die Wühlmäuse, die ihren englischen Rasen gelegentlich versuchten in ein Feld zu zurück zu verwandeln. Das Bodenleben sahen sie dabei nicht und darum bedachten sie es nicht.

Sie lebten im Zeitalter von Ideologien und erfanden ein Recht für alle und meinten das Gras, die Büsche, die Bäume, die Füchse und die Wölfe müssten dann verschont werden sofern sie nicht zur Nutzung taugten. Mäuse und Ratten indessen fingen sie weiterhin mit einer Totschlagfalle. Den  Marienkäfer besangen sie, während sie sich vor seinen Larven ekelten. Mücken und vieles andere Kleingetier, das ihnen lästig erschien, nannten sie Ungeziefer, welches sie unverwertet mit allen Mitteln auszutilgen suchten. Sie wollten mehr Abwechslung in ihrem Leben und schufen mehr Einfalt. Schließlich ließen sie den Alten seine Arbeit nicht mehr tun, nahmen ihm das Handwerkszeug ab, kauften ihm eine Gartenbank auf der er alle Tage sitzen sollte und sich die Landschaft ansehen. Das tat er auch, er sah wie sich diese veränderte und wie das Erbe verkam. Darüber wurde er müde und starb. Und seine Enkel machten munter weiter, hatten eine Vielfalt an Ideologien, nahmen aber nie das Werkzeug des Alten in die Hand sondern redeten nur von den guten alten Zeiten und den Kochkünsten ihrer Großmutter.

Und wenn sie noch nicht gestorben sind, so kommt das noch.

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